Wohnen
Utopie oder Grundrecht?
Ein Leben mit Engagement
Dora wohnt in Berlin-Mitte in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung – noch. Während des Studiums in den 70ern engagierte sich die 66-jährige Rentnerin für Frauenrechte. Als Sozialpädagogin arbeitete sie fast durchgängig in Frauen- und Lesbenprojekten. Schlecht bezahlt und unsicher, in ABM-Maßnahmen, Teilzeitjobs und Selbstständigkeit als Beraterin, immer mit Herzblut und Engagement. 10- bis 12-Stundentage waren keine Seltenheit. Heute bekommt sie dafür eine Rente von etwas über 1.000 Euro. Zwei Drittel des Geldes fließen allein in die Miete. Sie fürchtet, bei einer Mieterhöhung müsste sie sich eine andere Bleibe suchen.
Altersarmut und Wohnperspektiven hängen oft zusammen
Auch wenn Dora keine reale Person ist, steht sie doch fast klassisch für eine lesbische Eckrentnerin westdeutscher Prägung. Der Dachverband Lesben und Alter e. V. weiß aus vielen Veranstaltungen, die Themen Altersarmut und Wohnperspektiven treiben ältere lesbische Frauen um. Mit wenig Geld bleibt gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe oft nur ein Wunsch. Sind Lesben im Leben so schon kaum sichtbar, verschwinden sie im Alter noch weiter aus dem öffentlichen Leben. Oft sind sie mehrfach von Ausgrenzung betroffen als Frau und als Lesbe, aufgrund des Alters und evtl. einer Behinderung oder ihrer Herkunft. Nicht wenige empfinden diese strukturellen Gründe aber eher als individuelles Versagen. Was folgt sind weiterer Rückzug und Einsamkeit, häufig von entsprechenden gesundheitlichen und psychischen Folgen begleitet.
Wohnen ein thematischer Dauerbrenner
Wie wollen wir wohnen, (nicht nur) wenn wir alt sind? Wie kann ein Altern in Würde ermöglicht werden und wie können kollektive Wohnformen dazu beitragen? Wie kann lebenswerter und bezahlbarer Wohnraum in Städten und auf dem Land erhalten oder geschaffen werden? Und welche Ressourcen braucht es für solche Wohnangebote?
Diese und weitere Fragen bewegten und bewegen eine ganze Generation lesbischer Aktivistinnen, die in den 1970er und 1980er Jahren für ihre autonome Lebensweise gekämpft und viele Nachteile in Kauf genommen hat. Auch für den Dachverband Lesben und Alter gehörten Wohnperspektiven früh zu den Hauptthemen, eng verbunden mit der Frage nach den finanziellen Ressourcen. Aus vielen Veranstaltungen wissen die Akteurinnen im Dachverband, die Themen Altersarmut und Wohnperspektiven treiben ältere lesbische Frauen um. Gemeinsame Wohnformen von Frauen gehen auf Wurzeln zurück wie die Beginenhöfe im Mittelalter oder Frauenwohnprojekte der ersten und zweiten Frauenbewegung. In verschiedenen Städten und Regionen Deutschlands wird die Idee vom gemeinschaftlichen Wohnen und Leben im Alter oder zwischen den Generationen umgesetzt. Andere kämpfen seit vielen Jahren dafür, diesen Traum endlich zu realisieren.
Wie wollen Lesben im Alter wohnen?
Nicht alle Lesben wollen im Alter in kollektiven Wohnprojekten leben oder werden in einer Wohngemeinschaft unterkommen können. Ob allein, zu zweit, gemeinsam mit Freund*innen, Bekannten, Zugehörigen oder einer anderen gewählten Wohnform, jede Lesbe sollte ihr Leben im Alter würdevoll gestalten können. Existenzielle Themen besonders für Frauen sind: bezahlbarer Wohnraum und gemeinschaftlich mit anderen im nachbarschaftlichen Miteinander wirtschaften. Zu den zentralen Aspekten von bestehenden und kommenden Projekten gehören generationsübergreifende Kontakte, barrierefreies Wohnen und eine ökologische Bau- und Wirtschaftsweise, mit dem Ziel eigenständig und vielfältig in einer Gemeinschaft zu leben – bezahlbar und nachhaltig. Der Dachverband Lesben und Alter arbeitet daran Strategien für das Planen und Umsetzen zu entwickeln sowie Forderungen an Politik und Wohnungswirtschaft zu formulieren. Er setzt sich dafür ein, dass Lesben und alleinlebende Frauen:
- bis ins hohe Alter selbstbestimmt und möglichst autonom bleiben und wohnen können,
- ihr Leben und die Gemeinschaft aktiv mitgestalten können,
- ein geschütztes Wohnumfeld vorfinden, in dem sie sich nicht erklären müssen und offen und ohne Diskriminierung leben können,
- weiterhin Kontakte zu anderen frauenliebenden/lesbischen Frauen knüpfen können, auch wenn sie immobiler, körperlich oder mental eingeschränkt sind,
- passende Alternativen zum Alleinleben oder klassischen Senior*innenheimen finden,
- durch gemeinschaftliches Wohnen und Wirtschaften Altersarmut begegnen können,
- Ansprechpartner*innen wie Pflegepersonal haben, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse vorurteils frei eingehen,
- an der Stadtentwicklung und Wohnraumgestaltung teilhaben können.
Damit Lesben(Wohn)projekte überhaupt eine Chance haben und das Ziel der Gendergerechtigkeit zukünftig in greifbare Nähe rücken kann, brauchen sie eine umfassende finanzielle Förderung. Wir fordern von der Politik diese dauerhaft sicherzustellen.