Broschüre: Genug? Mehr verdient!
Existenzsicherung – ein Thema für ältere Lesen
Lange gearbeitet und trotzdem wenig Rente: Das ist auch für viele frauenliebende und lesbische Frauen bittere Realität. Insbesondere dann, wenn sie in Teilzeit, mit niedrigem Verdienst, als Alleinerziehende oder längere Zeit ehrenamtlich ohne Entgelt gearbeitet und sich engagiert haben.
Bis heute ist es nicht gelungen, in Deutschland Gerechtigkeit für Frauen herzustellen – weder während der Erwerbsphase noch danach. Altersarmut ist weiblich. Fehlende Absicherung, Geldknappheit, mangelnde soziale Teilhabe, Rückzug und Einsamkeit als Begleitfaktoren sind Themen, die den Dachverband Lesben und Alter seit seinen Ursprüngen begleiten. Nach wie vor fehlen Erhebungen, wie viele Lesben und frauenliebende Frauen vom Thema konkret betroffen sind. Und, welche Auswirkungen es hatte, dass ihre Lebensentwürfe, im „klassischen“ Versorgungssystem kaum berücksichtigt werden. Die Erfahrungen aus unseren Tagungen, Workshops, Veranstaltungen zeigen, wie wichtig Unterstützungsangebote sind. Aber auch, dass deutlich mehr Unterstützung benötigt wird.
Aktuelle Broschüre des Dachverbands Lesben und Alter
Die aktuelle Broschüre des Dachverbands Lesben und Alter „Genug? Mehr verdient!“ informiert über Hintergründe, enthält sozialpolitische Einordnungen, aktuelle Informationen zur gesetzlichen Rente, (staatlichen) Unterstützungsangeboten und ein Praxisbeispiel.
Literaturliste zur Broschüre "Genug? Mehr verdient!"
- Balodis, Holger; Hühne, Dagmar (2020): „Es gibt keine Altersarmut in Deutschland!“ Mythen und Fakten zur Rentenpolitik. luxemburg argumente Nr. 18, Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.) Berlin. https://www.rosalux.de/publikation/id/43088/es-gibt-keine-altersarmut-in-deutschland-1
- Buslei, Hermann; Geyer, Johannes et al. (2019): Starke Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung deutet auf hohe verdeckte Altersarmut. DIW Wochenbericht 49/2019, Berlin. https://www.diw.de/de/diw_01.c.699936.de/publikationen/wochenberichte/2019_49/heft.html
- Caroline Criado-Perez (2020): Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. München: btb Verlag 2020.
- Fey, Jonas; Prof. Dr. Wagner, Michael (2021): Das Einkommen der Hochaltrigen in Deutschland. D80+ Kurzberichte, Nr. 2. ceres Köln. https://ceres.uni-koeln.de/forschung/d80
- Götz, Irene (Hg) (2019). Kein Ruhestand. Wie Frauen mit Altersarmut umgehen, München: Verlag Antje Kunstmann.
- Janz, Ulrike (1999): Lesben – Armut – Perspektiven, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Jg. 22, Nr. 52, S. 73-84.
- Kaiser, Mareice (2022): Wie viel. Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht, Hamburg: rowohlt Verlag.
- Kessler, Eva-Maria; Warner, Lisa Marie (2022): Ageismus. Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland, Berlin. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/forschungsprojekte/DE/Studie_Ageismus_Altersdiskr_Dtl.html
- Nationale Armutskonferenz (Hg, 2017): Armutsrisiko Geschlecht. Armutslagen von Frauen in Deutschland. Verlag Komag, Berlin. https://www.nationale-armutskonferenz.de/veroeffentlichungen/
- Romeu Gordo, Laura, Stefanie Gundert, Heribert Engstler, Claudia Vogel & Julia Simonson (2022): Rentnerinnen und Rentner am Arbeitsmarkt: Erwerbsarbeit im Ruhestand hat vielfältige Gründe – nicht nur finanzielle. (IAB-Kurzbericht 08/2022), Nürnberg, 12 S. https://iab.de/publikationen/publikation/?id=12378874
- Vaillant, Kristina (2016). Die verratenen Mütter. Wie die Rentenpolitik Frauen in die Armut treibt. München: Verlag Droemer Knaur
Weiterführende Quellen zur Broschüre "Genug? Mehr verdient!"
Armut
- Fachausschuss des Deutschen Frauenrats: Raus aus der Armut. Teilhabe für Frauen sichern. https://www.frauenrat.de/themen/armut/
- Diakonie Deutschland, Themenseite Armut und Geschlecht: https://www.diakonie.de/wissen-kompakt/armut-und-geschlecht
- Aktiv gegen Armut im Alter, 2018: https://lsv-nrw.de/wp-content/uploads/2018/04/Aktiv-gegen-Armut.pdf
- Landesseniorenvertretung NRW: Wenn ich einmal arm wäre, https://lsv-nrw.de/wp-content/uploads/2016/03/Altersarmut_web.pdf
- Archiv für Armutsforschung und Mindestsicherung (JPN-Archiv), https://www.fb03.uni-frankfurt.de/50578303/Archiv_f%C3%BCr_Armutsforschung_und_Mindestsicherung__JPN_Archiv?
- Butterwegge, Christoph (Interview): „Armut wird stark verharmlost“, taz vom 4.8.2022, https://taz.de/Christoph-Butterwegge-ueber-Sozialstatistik/!5868260/
- Gurol, Sabine: Armut in Deutschland. Wenn das Geld nicht reicht. Wer in Deutschland als arm gilt, RND vom 16.11.2022, https://www.rnd.de/wirtschaft/armut-in-deutschland-wenn-das-geld-nicht-reicht-ab-welchem-einkommen-gilt-man-als-arm-2KP3G5G3U5DXRNSQKAKM3MYXVM.html
Geld
- Die Deutschen und das Geld – Darüber spricht man doch nicht! Deutschlandfunk Kultur vom 4.3.2023: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ueber-geld-spricht-man-nicht-die-deutschen-und-das-geld-dlf-kultur-8303ca9e-100.html
- Einfache Einkommenssteuererklärung für Empfänger*innen von Rente und Pension: https://einfach.elster.de/erklaerung/ui/
Gender Gaps
- Neuer Indikator „Gender Gap Arbeitsmarkt“ erweitert den Blickwinkel auf Verdienstungleichheit, Pressemitteilung Nr. 084 vom 6. März 2023: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_084_621.html
- Gender Pension Gap: Alterseinkünfte von Frauen 2021 fast ein Drittel niedriger als die von Männern, Pressemitteilung Nr. N 015 vom 7. März 2023: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_N015_12_63.html
- Destatis – Gender Pay Gap Glossar: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-GenderPayGap/Glossar/gender-gap-arbeitsmarkt.html
- Gender Care Gap – ein Indikator für die Gleichstellung, 27.08.2019: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294
- UN Women – Gender Gaps in Deutschland: https://unwomen.de/gender-gaps-in-deutschland/
- EU-Kommission – Gender Pay Gap, die Situation in Deutschland: https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/policies/justice-and-fundamental-rights/gender-equality/equal-pay/gender-pay-gap-situation-eu_en
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes – Entgeltgleichheit: https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Glossar_Entgeltgleichheit/DE/14_Gender_Pay_Gap.html
- OECD – Gender Pension Gap: https://www.oecd.org/gender/data/wide-gap-in-pension-benefits-between-men-and-women.htm
- IWD – Gender Pension Gap in Deutschland besonders groß: https://www.iwd.de/artikel/gender-pension-gap-in-deutschland-besonders-gross-462565/
- ZDF – Gender Gap Arbeitsmarkt: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/gender-gap-arbeitsmarkt-100.html
- Fluter – Gender Health Gap: https://www.fluter.de/gender-health-gap-kurz-erklaert
- Edition F – Gender Health Gap Was ist das eigentlich?: https://editionf.com/gender-health-gap-was-ist-das-eigentlich/
- Pharma Fakten – Gender Health Gap macht krank: https://pharma-fakten.de/news/gender-health-gap-macht-krank/
Zum Inhalt der Broschüre
- Einstieg mit einem engagierten Grußwort der BAGSO-Vorsitzenden Dr. Regina Görner
- Sozialwissenschaftlerin und Historikerin Dr. Gisela Notz beantwortet die Frage: Warum ist Existenzsicherung für ältere Lesben ein wichtiges Thema?
- Der Artikel „Gleichgestellt?“ wirft einen kurzen Blick auf die Lage ostdeutscher Rentner*innen.
- Reingard Wagner, Rentenexpertin im Vorstand des Dachverbands, erläutert, wie die gesetzliche Rente funktioniert.
- Dr. Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei ver.di, zeigt auf, wie die Grundrente Armut im Alter bekämpfen soll.
- Sabine Arnolds, Referentin und Leitung der Geschäftsstelle des Dachverbands, plädiert in „Über Geld redet man nicht?“ dafür, das Tabuthema Geld(-knappheit) offensiv anzugehen. Sie beschreibt Umgangsweisen der Mitgliedsorganisationen mit dem heiklen Thema.
- Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Irene Götz erläutert im Interview „Wir müssen die Lebensleistungen von frauen anerkenntn – durch höhere Renten“ die Ergebnisse ihrer Forschungen mit älteren Frauen im prekären Ruhestand.
- Cornelia Sperling, u. a. Mitgründerin der Initiative „Mäuse für Ältere – Arbeiten neben der Rente,“ berichtet, wie sie ihre Fähigkeiten und beruflichen Erfahrungen seit dem Renteneintritt nutzt, um Projekte an den Start zu bringen, die ihr am Herzen liegen. Es ist auch ein Beispiel, um die eigene geringe Rente aufzustocken.
- Journalistin Bettina Hagen stellt einige Angebote und Initiativen vor, die auf „teilen“ (sharing) basieren, Geld sparen helfen und bei nachhaltigerem Konsum unterstützen.
- Zum Abschluss erläutern wir, warum eine weitere Förderung von Lesben und Alter dringend erforderlich ist.
Interview mit Karin Klipp, Lesbenverein Intervention
Interview mit Karin Klipp zum Artikel „Über Geld redet man nicht?“
Karin Klipp ist Projektleiterin der Netzwerkstelle Lesben* in Hamburg beim Lesbenverein Intervention. Intervention ist Mitglied im Dachverband Lesben und Alter.
Welche Rolle spielt das Thema Geld/Altersarmut bei den Frauen und in den Gruppen, die bei euch angebunden sind?
Insbesondere bei den Älteren spielt das Thema absolut eine Rolle, wenn auch manchmal subtil und indirekt. In den Gruppen und bei Intervention erlebe ich viele Lesben, die wirklich wenig Geld haben. Manche müssen ihre Rente mit Grundsicherung im Alter aufstocken. Viele ältere Lesben mit wenig Geld sagen, es hat etwas für sie mit Würde zu tun, Hilfe nicht im starken Maße in Anspruch zu nehmen. Sie gucken sehr genau, was sie sich leisten können – meistens wenig. Die Angebote über Intervention sind kostenfrei. Wir bitten diejenigen, die Geld haben, um eine Spende. Es muss aber nicht sein. Andere Angebote sind vom Preis her gestaffelt. In einer Gruppen haben wir einen Fond eingerichtet, daraus können z. B. Kinotickets bezahlt oder bezuschusst werden. Viele sind sehr zurückhaltend. Die mit besonders wenig Geld nehmen den Fond in der Regel nicht in Anspruch.
Sprecht ihr Frauen auf das Thema an und wie reagieren sie auf die Ansprache?
Ja, wir sprechen die Frauen konkret an. Teilweise reagieren sie sehr verhalten. Die Idee mit dem Fond finden sie gut. Innerhalb der Gruppe möchten sie es eher nicht thematisieren, wenn sie Geld brauchen. Sie sprechen mich direkt an. Ich finde gut, dass es überhaupt thematisiert wird. Es ist erschreckend, wie wenig Geld manche haben, oft unter 1.000 €, manchmal auch nur 600 €. Ich habe auch schon von 500 € gehört. Sie stocken zwar auf, wesentlich mehr ist das aber nicht. Wenn wir die Situation, die Lebenslage älterer Lesben allgemeiner besprechen, gehen sie offener damit um. Für diejenigen, die nicht betroffen sind, ist es leichter darüber zu sprechen. Dann reden auch andere darüber, wie die allgemeine Situation ist. Großes Thema ist das Wohnen. Fragen sind dann: Kann ich mir das Wohnen noch leisten? Wie kann ich im Alter leben, wenn schon das Geld zum Einkauf fehlt? Bei den konkreten eigenen Einkommensverhältnisse bleiben sie zurückhaltend. Manchmal ist das schambesetzt – immer noch. Das Gefühl, persönlich versagt zu haben, spielt dabei manchmal eine Rolle.
Bietet ihr konkrete Angebote in Bezug auf das Thema Altersarmut und die damit verbundenen Themen an?
Bei uns sind die Zugänge eher andere. Der Schwerpunkt der Netzwerkstelle zum Thema Alter, die von mir besetzt ist, liegt in der Vernetzungsarbeit. Ich mache ein bis zwei Gruppenangebote, weil mir wichtig ist, Kontakt zur Basis zu halten. Aber schwerpunktmäßig bin ich mit Multiplikator*innen vernetzt. Momentan sind die einzelnen Projekte damit beschäftigt, sich über Wasser zu halten und ihre Arbeit zu machen. Da bleibt wenig Zeit für die Vereinsarbeit. So können wir leider nicht alles anbieten, was wir möchten. Aber es wäre so wichtig.
Was wünscht ihr euch bei dem Thema vom Dachverband Lesben und Alter?
Einen Austausch darüber, wie Angebote für diejenigen, die weniger Geld haben, stärker etabliert werden können – gerade bei offenen Gruppenangeboten. Auf der strukturellen Ebene wäre wichtig, sich darüber auszutauschen, was wir tun können, damit das Thema präsenter wird bei den Mitgliedsorganisationen und im Dachverband.
Was wünscht ihr euch bei dem Thema von der Gesellschaft oder der Politik?
Die Politik muss sich des Themas Rente annehmen. Die Situation ist katastrophal, selbst bei Frauen, die in Vollzeit arbeiten. Und dass die Lebensleistung lesbischer Frauen anerkannt wird, überhaupt von allen, die ehrenamtlich gearbeitet haben. Die in prekären Arbeitsverhältnissen – insbesondere in Frauen- und Lesbenprojekten – gearbeitet haben und dementsprechend wenig Rente bekommen. Deren gesellschaftliches Engagement sollte einbezogen werden. Die Politik muss mehr für soziale Gerechtigkeit tun. Es gibt immer noch den Equal-Pay-Gap und wird es weiterhin geben. Ich finde das Mindeste, dass der Verdienst am ersten Januar ausgeglichen wäre.
Möchtest Du noch etwas ergänzen?
Was mir immer wieder auffällt ist die starke Zurücknahme derjenigen, die wirklich extrem wenig Geld haben. Gerade diejenigen, die noch die Auswirkungen des Krieges mitbekommen haben. Da höre ich öfter, arm ist etwas anderes. Durch die verschiedenen Krisen verschärft sich die aktuelle politische Entwicklung. Das ist beängstigend. Ich frage mich, wie können wir das Thema in die Gruppen einbringen, damit die Frauen sich mehr trauen, sich öffnen. Und selbstverständlicher damit umgehen, die wenigen Unterstützungsangebote anzunehmen, die es gibt. Es ändert nichts daran, dass sie wenig Rente haben, trotzdem gibt es möglicherweise an der einen oder anderen Stelle Unterstützung.
Nicht darüber zu sprechen, verhindert Solidarität!
Interview mit Andrea Bothe, rubicon Köln
Interview mit Andrea Bothe zum Artikel „Über Geld redet man nicht?“
Andrea Bothe ist Sozialwissenschaftlerin und koordiniert im Kölner rubicon die lesbischen ALTERnativen. Das rubicon ist Mitgliedsorganisation im Dachverband Lesben und Alter.
Welche Rolle spielt das Thema Geld/Altersarmut in den Gruppen, die bei euch angebunden sind?
Das ist unterschiedlich. Vom Lesbenstammtisch LezBüz erzählt die Leiterin, Geld sei kaum ein Thema. Es nehmen viele Akademikerinnen zwischen 50–60 Jahre teil, die alle noch arbeiten. Das lässt zwei Schlüsse zu: Unter Akademikerinnen existieren tendenziell nicht so viele Geldsorgen, was sich mit der Rente schlagartig verändern kann. Der andere Schluss: Wir erreichen mit diesen Gruppenangeboten Frauen, die über weniger Geld verfügen, nicht so gut. Meist finden die Angebote in Gastrobetrieben statt. Da muss für Getränke gezahlt werden – und dann fällt es schnell auf, wenn das Umfeld viel mehr konsumiert. Abseits der eher Gutverdienenden sind auch einige dabei, die selbstgewählt wenig Geld haben. Als Kapitalismuskritikerinnen leben sie nach dem Motto: Ich arbeite nur so viel, wie ich brauche.
Etwas anders ist es bei den Golden Girls, die im Schnitt um die 70 Jahre sind. Die Gruppenleiterin weiß von Frauen, die wenig Geld haben. Da geht es sehr solidarisch zu. Wenn sie etwa nach dem CSD gemeinsam essen gehen, spricht sie einzelne Frauen vorab direkt an. Der Tenor: Natürlich bist Du dabei, mach dir keine Sorgen um das Geld. Wir halten zusammen und nehmen alle mit.
Sprecht ihr Frauen auf das Thema an, und wie reagieren sie auf die Ansprache?
Es ist ein Tabuthema, dass wir – wenn überhaupt –, ganz vorsichtig und bilateral ansprechen. Ein Beispiel: Ende des Jahres verteilt die Rundschau-Altenhilfe DIE GUTE TAT e.V. Weihnachtspakete. Im Rahmen dieser Aktion können wir alljährlich unsere Paketwünsche angeben. Dazu sprechen wir Einzelne direkt an, ob sie ein Paket möchten. Unter den Lesben sind es pro Jahrvielleicht drei bis vier, die das annehmen. Und sobald sich finanziell etwas verändert, die Frauen aus der absoluten Not herauskommen, z. B. durch eine Beziehung, setzen Stichworte wie Würde und Stolz ganz schnell einen Automatismus in Gang: „Ich brauche keine Unterstützung mehr. Es gibt bestimmt andere, die sie nötiger haben.“ Dieses Zurücktreten passiert leider allzu oft bei Frauen und Lesben. Aber was passiert bei Trennung oder Tod?
Interessant, auf der privaten Ebene ist es okay, etwas anzunehmen?
Ich glaube, es wäre lohnend, das strukturell zu überprüfen. Diese Frauen fallen durchs Raster. Wir können eigentlich nur mutmaßen. Die strukturellen Diskriminierungen von Frauen plus lesbisch sein, deuten alle in die gleiche Richtung, aber … Du kannst es nicht dingfest machen.
Ja, wir haben kaum Forschung dazu. Die wenigen vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Scham sehr hoch ist, gepaart mit dem Gefühl: Ich bin selbst schuld. Eine Studie aus 2019 zeigt, 60 Prozent derjenigen, die Grundsicherung im Alter beantragen könnten, nehmen das nicht in Anspruch.
Das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Wer wenig Geld hat, schiebt eher andere Termine vor als zu benennen, dass ein Theaterbesuch nicht bezahlbar ist. Da kommt schnell das Gefühl auf, ich habe es nicht geschafft.
Armut ist allzu oft noch ein Kampf gegen Scham, Vorurteile und Selbstzweifel. Offen darüber gesprochen wird– auch in den Gruppen – nur selten.
Welche Angebote/Aktivitäten bietet ihr, damit diejenigen mit weniger Geld trotzdem teilnehmen können?
Wir bemühen uns, verstärkt niedrigschwellige Angebote zu machen. So hat mein Kollege zwischen den Jahren zum Frühstück ins rubicon eingeladen. Wer wollte, konnte etwas mitbringen. Das war aber kein Muss. Dieses Angebot ist sehr gut angenommen worden.
Im offenen Treff in Köln haben wir das Prinzip des aufgeschobenen Kaffees eingeführt. Wer kann, konsumiert ein Getränk und zahlt zwei. Das zweite kommt dann denen zugute, die es sich ansonsten nicht leisten könnten.
Generell stellt sich dabei für uns immer wieder die Frage: Wie bringen wir die Angebote so wertschätzend wie möglich rüber.
Was wünscht ihr euch bei dem Thema vom Dachverband Lesben und Alter?
Es wäre super, wenn wir das Thema weiterbewegen würden und gemeinsam überlegen, wie wir wertschätzende Angebote schaffen können, die angenommen werden. Wichtig wäre, das Thema und entsprechende Angebote stärker in die Öffentlichkeit zu bringen. Eine Frage treibt uns besonders um: Wie erreichen wir die Unerreichbaren und mit welchen Angeboten? Wir versuchen es z.B. über die Ärzt_innen, legen etwa unsere Flyer bei Frauenärztinnen aus, die viele lesbische Patientinnen haben.
Was wünscht ihr euch bei dem Thema von der Gesellschaft oder der Politik?
Altersthemen noch einmal stärker auf Lesben zu fokussieren. Forschung zu Themen wie „Lesben und Altersarmut, Existenzsicherung und die Folgen daraus“ auf den Weg bringen. Die Zielgruppe konkret adressieren. Es muss gesellschaftlich und politisch auf die Tagesordnung, dass Altersarmut schwere Konsequenzen hat und oft in die Isolation führt. Bei der Paketaktion merken wir, die Frauen lassen nur ungern jemand in ihre Wohnung. Neben der Forschung wäre die Verankerung der Altenarbeit im Sozialgesetzbuch – in Analogie zur Kinder- und Jugendhilfe – natürlich ein Meilenstein. Auch die gesetzliche Anerkennung der „Verantwortungsgemeinschaft“ wäre ein wichtiger Schritt. Und last but not least wäre ein Fachtag gut – zu all den Herausforderungen, die in den nächsten Jahrzehnten mit den Baby-Boomern auf die Altenhilfe zukommen.
Interview mit Pat Wunderlich, Rostock
Interview mit Pat Wunderlich zum Artikel „Über Geld redet man nicht?“
Pat Wunderlich ist Förderfrau im Dachverband Lesben und Alter. In Rostock hat sie u. a. die Lesben-Gruppe „Rostocker-Uferfrauen“ ins Leben gerufen.
Welche Rolle spielt das Thema Geld/Altersarmut bei euch in den Gruppen, bei den Frauen, die zu euch kommen?
Es spielt eine zunehmend größere Rollen. Die Frauen kommen jetzt in das Alter oder sind schon drin, wo es für sie sehr wichtig wird. Deswegen setzen sie sich zunehmend mehr mit diesem Thema auseinander. Was ich sehr gut finde. Und sie reden auch untereinander darüber.
Sprecht ihr Frauen auf das Thema an und wie reagieren sie auf die Ansprache?
Eine direkte Ansprache von uns gibt es nicht. Die Frauen sprechen privat untereinander, in der Gruppe, wenn das Thema aufkommt. Eine direkte Ansprache im Sinne von „Brauchst du Hilfe?“ hat es bisher nicht gegeben. Wir sind eine relativ junge Gruppe, uns gibt’s erst seit ca. zwei Jahren und wir sind sehr heterogen. Ein Großteil der Gruppe ist unter 50, nur einige über 50 oder 60. Wir haben erst drei, vier Rentnerinnen in unserer Gruppe.
Die Problemlagen sind in erster Linie die teuren Mieten und dass die Frauen für das Restgeld, was sie auf der Hand haben, trotzdem einigermaßen gut leben wollen. Manche Sachen können sie sich aber nicht leisten. Es ist sehr schwierig geworden in den letzten Jahren, für einen guten Preis eine gute Wohnung zu kriegen, wenn du nicht unbedingt in der Platte leben willst. Da bist Du in einem eigenen Stadtviertel außerhalb des Zentrums. Das ist nicht so schön.
Welche Angebote/Aktivitäten bietet ihr, damit diejenigen mit weniger Geld trotzdem teilnehmen können?
Wir haben einen Solitopf gegründet. Nicht nur für Rentnerinnen, sondern für alle, die wenig Geld haben. Die aus der Gruppe, die viel Geld haben, spenden da gerne rein. Wenn wir z. B. ins Kino gehen, nehmen wir für einige das Geld aus dem Solitopf.
Kann das Geld aus dem Solitopf anonym genommen werden?
Bis jetzt hat noch keine ihn anonym in Anspruch nehmen wollen. Aber das ist interessant, was Du ansprichst. Das werde ich mir merken. Ich weiß von einer Frau, die es hätte gebrauchen können und nicht angenommen hat. Vielleicht wäre anonym sinnvoll oder hilfreich. Ich kriege von denen, die wenig Geld haben – auch von den Rentnerinnen – mit, dass es ihnen in gewisser Weise unangenehm ist. Sie sagen: „Ich muss genau gucken, an welcher Veranstaltung nehme ich teil und an welcher nicht. Was kann ich mir leisten?“ Deswegen sind manche nicht überall dabei. Regelmäßig treffen wir uns einmal monatlich. Das kostet wenig. Tee und Kaffee bekommen sie gespendet. Sie zahlen nur einen Euro für die Raummiete. Mehr nicht. Einen Euro kann sich, glaube ich, jede noch leisten. Bis jetzt habe ich jedenfalls noch nicht die Erfahrung gemacht, dass das ein Hinderungsgrund war.
Hast du eine Einschätzung dazu, wie die Unterschiede sind zwischen Ost- und West-Biografien?
Das kann ich nicht so einschätzen. Ich höre nur von den Frauen in meiner Gruppe, die schon Rentnerin sind oder es demnächst werden, sie sind alle ziemlich erstaunt. Nach dem Motto „Da hast du so viele Jahre gearbeitet, Kinder großgezogen, in die Zusatzversicherung eingezahlt. Wir hatten für bestimmte Berufe Zusatzrentenversicherungen. Trotzdem kommt unterm Strich eine Rente unter 1.000 € raus – als ganz normale Altersrente, keine frühere Verrentung mit 63 oder eher. Das ist krass für die Frauen. Die Miete für eine Zweiraumwohnung, ca. 50 qm, in einer angenehmen Lage kostet in Rostock bspw. um die 700 € Warmmiete. Das ist bei einer Rente unter 1.000 € natürlich heftig. Dass das Wohngeld aufgestockt wurde, ist für viele ein richtiger Segen. Ich hoffe, dass es dabei bleibt.
Was wünscht Du Dir bei dem Thema vom Dachverband Lesben und Alter?
Eine gute bzw. eine vorausschauende Beratung. In dem Sinne, was können wir tun. Das wäre eine gute Idee. Ich bin noch in einer anderen Gruppe mit einigen älteren Feministinnen aus Rostock. Die treten alle demnächst ins Rentenalter ein. Für sie ist das schon lange ein Thema, die haben sich sehr intensiv drum gekümmert. Die sind sehr politisch und gesellschaftlich engagiert gewesen. Das ist in der Lesben-Gruppe nicht so gegeben. Da ist ungefähr ein Drittel sehr politisch, der Rest weniger.
Was wünscht Du Dir bei dem Thema von der Gesellschaft oder der Politik?
Die Erziehungsarbeit sollte besser anerkannt werden. Die Kindererziehungszeiten spielen zwar in der Rente eine Rolle, aber es wäre wichtig, das nochmal neu zu bewerten. Viele Ost-Lesben haben Kinder.
Auf alle Fälle wünsche ich mir, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit, Zeiten an den aus bestimmten Gründen nicht gearbeitet werden kann oder Zeiten als Hartz-IV-Empfängerin (jetzt Bürgergeld) in der Rente mitberücksichtigt würden. Viele Leute, die arbeitslos sind, leisten ehrenamtlich etwas, engagieren sich in Vereinen, Organisationen, leisten Kinder-Betreuungsarbeit für die Familie usw. Jede könnte einen kleinen Betrag, meinetwegen nur 10 € pro Monat einzahlen. So würden die Zeiten bei den Punkten angerechnet. Ich finde es ungerecht, dass es nicht so ist.
Und ich wünschte mir, dass es wie in anderen Ländern einen Senioren-Bonus oder ähnliches gäbe. In England zum Beispiel kommst du in die Museen kostenfrei oder kostengünstiger rein, du hast eine Vergünstigung beim Nahverkehr usw. Bei uns ist es in jedem Bundesland unterschiedlich. Es müsste durchgehend sein, nicht bloß punktuell. Zu DDR Zeiten gab’s das. Du bekamst mit Deinem Rentenausweis alle möglichen Vergünstigungen. Natürlich bleibt die Frage, mit welchem Recht ein Rentner, der 3.000 € Rente bekommt, einen Vergünstigungsbonus kriegt? Da könnte eine Kappungsgrenze eingebaut werden.