Das Private ist politisch – gerade im Leben älterer Lesben
Bundesweiter Fachtag zu Verbundenheit und Einsamkeit in Köln
Die Veranstaltung war schnell ausgebucht. 70 Teilnehmende – überwiegend frauenliebende Frauen – besuchten den Fachtag „Verbundenheit und Einsamkeit im Alter“, den der Dachverband Lesben und Alter am 21.10.2022 in Köln ausrichtete. Der Titel traf den Nerv der meist älteren Teilnehmerinnen.
Der Spagat zwischen Gemeinschaft und Rückzug betrifft Ältere ebenso wie Jüngere, betonte Prof. Dr. Sonia Lippke in ihrem Impulsvortrag. Studien deuten allerdings darauf hin, dass LGBTQI*‐Menschen doppelt so häufig von Einsamkeit betroffen sind wie die sonstige Bevölkerung. Genaue Zahlen fehlen jedoch. Insbesondere fehlt Forschung zur Lebenssituation älterer lesbischer Frauen. „Hier ist die Politik in der Pflicht“, so Carolina Brauckmann, Vorstandsfrau des Dachverbands Lesben und Alter. „Denn spezifisch lesbische Strategien über soziale Netzwerke und Wahlverwandtschaften der Einsamkeit entgegenzuwirken, können Vorbild sein für eine älter und diverser werdende Gesellschaft.“
Vorbild queerAltern Schweiz: Sichtbar, alt und lesbisch
Wie gut das funktioniert, zeigte Barbara Bosshard, seit 2019 Präsidentin von queerAltern Schweiz. Dem Verein gelang es auch in Pandemie-Zeiten, Angebote wie regelmäßige Wanderungen und Erzählcafés aufrecht zu erhalten. Der Austausch mit Jüngeren und das Aufbrechen stereotyper Altersbilder sind Bosshard besonders wichtig. Ihr Credo: Sichtbarkeit als alte, als queere Menschen. „Damit auch die Jüngeren sehen: Aha, man kann 70 werden und immer noch glücklich aussehen.“
Keine Gruppe ist so divers wie alte Menschen
In der anschließenden Talkrunde knüpfte Betty Thie von der Kölner Lesbengruppe „Golden Girls“ daran an. In den Pandemiejahren sei es schwierig gewesen, die Gruppe zusammenzuhalten, nicht wenige hätten sich völlig zurückgezogen. Vor allem das Telefon wurde zum Mittel der Wahl, um in Kontakt zu bleiben. Auf die Kraft der Kommunikation via Telefon setzt der Verein Silbernetz von Beginn an. Elke Schilling, Gründerin des Netzwerks, legt nach wie vor großen Wert darauf, all jene zu erreichen, die anderen Angeboten fernbleiben. Schilling spricht nicht von den Einsamen, sondern von Menschen mit Redebedarf. Bei Silbernetz können sie einfach anrufen oder sich anrufen lassen. Es sei erstaunlich „welche Nähe über dieses Medium möglich ist.“ Die Themen, über die gesprochen wird, sind „so divers wie alte Menschen nun einmal sind.“ Ob Sexualität, Armut, Alltagserlebnisse – alles kommt zur Sprache.
Christof Wild vom Paritätischen, Kreisgruppe Köln, ergänzte die Runde mit Erkenntnissen aus der modernen offenen Senior*innenarbeit. Vernetzung und selbstorganisierte Gruppen stehen im Mittelpunkt. „Einsamkeit in der Gruppe“ sei immer wieder Thema. Schon früh habe er gelernt: „Wenn ich Verbundenheit haben will, muss ich soziale Intimität herstellen“.
Lesbische Strategien für ein lebendiges Altern
Zum Abschluss vertieften die Teilnehmerinnen die Tagungsthemen in moderierten Austauschrunden. Lebendig, sehr persönlich und kreativ kamen weitere Aspekte zur Sprache. So gehört zu den persönlichen Strategien, sich im Alter mit anderen Lesben zusammenzutun, die eine ähnliche Biographie haben. Es sei hilfreich, die Gemeinsamkeiten zu bewahren, Veränderungen zuzulassen und im Gespräch mit Jüngeren zu bleiben, auch im Rahmen von internationalen Begegnungen.
Zentrale Punkte: Lesbische Sichtbarkeit und vielfältige Altersbilder
Vorstandsfrau Carolina Brauckmann zeigte sich am Ende der Tagung hoch zufrieden: „Das war ein reiches Programm mit unglaublich vielen Impulsen. Als Dachverband Lesben und Alter werden wir die Anregungen aufgreifen. Zentral bleibt für uns: Sichtbarkeit zeigen, als ältere Lesben vielfältige Altersbilder nach außen tragen und die Bedürfnisse der Zielgruppe bei der Politik und im geplanten Nationalen Aktionsplan ‚Queer leben‘ verankern. Wir benötigen mehr Erkenntnisse über alte und junge Lesben, das heißt Forschung, Forschung, Forschung! Und wir brauchen Unterstützungsstrukturen, damit auch diejenigen teilhaben können, denen das Geld fehlt, kostenpflichtige Angebote wahrzunehmen. Wir nehmen den Bundeskanzler beim Wort: ‚You‘ll never walk alone‘.“
Der Fachtag „Verbundenheit und Einsamkeit im Alter“ fand am 21.10.2022 in der DJH Köln Riehl statt, der Fachaustausch „Allein aber nicht einsam“ schloss sich am 22.10.2022 an. Veranstalterin war der Dachverband Lesben und Alter gefördert durch das BMFSFJ und in Kooperation mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.